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Akteneinsicht bei Geschwindigkeitsverstoß

Dem Verteidiger/Rechtsanwalt muss bei einer Verteidigung wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes die gesamte Akteneinsicht gewährleistet  werden. Dies ist erforderlich, damit bei Verwendung von sogenannten standardisierten Messgeräten der Verteidiger eine ordnungsgemäße Verteidigung durchführen kann.

Das Amtsgericht Gießen hat in seinem Beschluss vom 27.10.2015 (Aktenzeichen 512 OWiG 83/15) erneut entschieden, dass dem Verteidiger auch die vollständige Messdatei samt so genanntem Token und Passwort sowie die gesamte Messreihe entsprechend § 46 OwiG in Verbindung mit § 147 StPO zur Verfügung zu stellen ist. Mit „gesamter Messreihe“ ist gemeint, dass sämtliche Messvorgänge aus dem Meßeinsatz an besagtem Tag der Verteidigung in digitalisierter Form zur Verfügung gestellt werden müssen. Anderenfalls würde das Recht auf rechtliches Gehör verletzt werden, weil nämlich das Recht des Verteidigers auf Akteneinsicht (§ 147 StPO) verletzt würde.

Denn bei der vorliegenden Messung handelt es sich stets um ein standardisiertes Messverfahren, sodass der Betroffene zur Verteidigung konkrete Einwendungen gegen die Messung vorzubringen hat. Hierzu ist er nur in der Lage, soweit eine Auswertung der Messung (gegebenenfalls durch einen von ihm beauftragten Sachverständigen) erfolgen kann, die das Vorliegen der gesamten Messreihe voraussetzt. Häufig wird von den Bußgeldstellen eingewendet, dass der Übersendung der gesamten Messsequenz datenschutzrechtliche Erwägungen entgegenstehen. Dies ist jedoch nicht haltbar. Denn datenschutzrechtliche Gründe sprechen nicht gegen die Aushändigung der gesamten Messreihe sowie der Messdatei an den Verteidiger. Denn bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen überwiegt das Interesse des Betroffenen, das Recht auf rechtliches Gehör ausüben zu können. Dies ist nur gewährleistet, soweit das Akteneinsichtsrecht auch auf diese genannten Beweismittel, die nicht unmittelbare Aktenbestandteil sind, erstreckt wird. Darüber hinaus dürften der Verwaltungsbehörde technische Mittel zur Anonymisierung der Daten auf der Messdatei zur Verfügung stehen. Weiter ist hier zu berücksichtigen, dass nicht dem Betroffenen, sondern dem Verteidiger im Rahmen des Akteneinsichtsrecht die Daten zur Verfügung gestellt werden, der als Person der Rechtspflege den Datenschutz verpflichtet ist.

Weiter sind als Aktenbestandteile dem Verteidiger der Beschilderungsplan zur Verfügung zu stellen. Zudem hat der Verteidiger ein Recht auf Mitteilung, wer an dem Datentransport sowie der Auswertung beteiligt war, insbesondere ob hierbei an der Messung private Unternehmen von dritter Seite mitgewirkt haben, da sich etwa aus der Beteiligung privater Dritter ein Beweisverwertungsverbot ergeben könnte. Weiterhin erstreckt sich das Akteneinsichtsrecht auf den Beschilderungsplan sowie das verwendete Auswerteprogramm.

Bekanntlich ist auch die Gebrauchsanweisung für das verwendete Messgerät zu übersenden. Allerdings ist an dieser Stelle dem Gesuch durch die Möglichkeit der Einsichtnahme im Wege eines Downloads hinreichend Rechnung getragen. Immer wieder gibt es Urteile von (kleineren) Amtsgerichten, in denen dieses Recht auf vollständige Akteneinsicht nicht berücksichtigt wird. So hat das Amtsgericht Stadtroda in seinem Beschluss vom 10.7.2015 (Aktenzeichen 1 OWi 697/15) die zuvor genannten, weitgehend unstreitigen Grundsätze unberücksichtigt gelassen. Es hat an dem sogenannten „formalen Aktenbegriff“ festgehalten und dem Betroffenen sein Recht auf erweiterte Akteneinsicht verweigert. Dies mit der lapidaren Aussage, dass Unterlagen, die bislang nicht Aktenbestandteil geworden sind, nicht im Wege der Akteneinsicht zugänglich gemacht werden können. Weiterhin führt das Amtsgericht Stadtroda aus, dass die weiteren gewünschten Unterlagen, soweit erforderlich, erst im gerichtlichen Verfahren durch den zuständigen Richter angefordert werden.

Genau durch diese Vorgehensweise wird jedoch das Recht der Verteidigung untergraben, die Messung im Vorfeld (gegebenenfalls durch einen eigenen Sachverständigen) einer Prüfung zuzuführen. Es fehlen dann selbstverständlich Ansätze, um einen Beweisantrag in der Hauptverhandlung überhaupt formulieren zu können. In der Literatur hat diese Entscheidung des Amtsgerichts Stadtroda daher weitgehend zu Kopfschütteln geführt. Denn liegt ein standardisiertes Messverfahren vor, kann der Betroffene ja gerade im gerichtlichen Verfahren keine gutachterliche Prüfung erfolgreich herbeiführen, wenn er nicht zuvor konkrete Fehler oder zumindest Ansatzpunkte aufzeigt.

Wie auch an diesen Entscheidungen sehr deutlich wird, kann eine erfolgreiche Verteidigung im Ordnungswidrigkeitenverfahren oftmals nur dann geführt werden, wenn der Betroffene über eine Rechtsschutzversicherung verfügt. Denn zum einen entstehen erhebliche Rechtsanwaltskosten. Zum anderen kann ein Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens erhebliche Kosten auslösen. Wenn der Betroffene nun das Risiko eingeht, auf diesen Kosten am Ende des Verfahrens selber sitzen zu bleiben, ist der Verteidiger in der Wahl seiner für die Verteidigung durchzuführenden Schritte eingeschränkt.

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Rechtfertigende Notsituation bei einem Geschwindigkeitsverstoß wenn Beifahrer sich übergibt? – Dr. Hartmann & Partner

  Hier noch einer für Online.   ————–     seo: notwehr, notstand, in bußgeldverfahren, gerechtfertigt, geschwindigkeitsverstoß, zu schnell gefahren in notsituation, rechtfertigender notstand, § 16 owig   Rechtfertigende Notsituation bei einem Geschwindigkeitsverstoß wenn Beifahrer sich übergibt? Auch in Bußgeldsachen gilt, dass die Tat gerechtfertigt sein kann, wenn eine Notwehrsituation oder ein Notstand vorliegt. Dies ist ausdrücklich in §§ 15, 16 OWiG geregelt. Wenn beispielsweise ein Arzt anlässlich eines Noteinsatzes zu schnell fährt, kann dies den Verstoß rechtfertigen. Das OLG Bamberg hatte in seinem Beschluss vom 4. September 2013 (A.Z.: 3 Ss Owi 1130/13) darüber zu entscheiden, ob ein Taxifahrer, der zu schnell unterwegs ist, gerechtfertigt handelt, wenn ein betrunkener Fahrgast sich übergibt und der Fahrer nun befürchtet, dass der Wagen Innenraums seines Taxis beschmutzt wird. Dies ist im Ergebnis verneint worden. Zwar wurde durch das Gericht anerkannt, dass grundsätzlich eine Maßnahme zur Gefahrenabwehr auch einen Geschwindigkeitsverstoß rechtfertigen kann. Im vorliegenden Falle vermochte jedoch eine zur schnelleren Erreichung der nächst gelegenen Tankstelle schon mangels Geeignetheit des zur Gefahrenabwehr eingesetzten Mittels nicht nach § 16 OWiG zu rechtfertigen. Der Betroffene Taxifahrer wurde durch einen Bußgeldbescheid wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften unter anderem zu einem Fahrverbot von zwei Monaten verurteilt. Das Amtsgericht hat den Betroffenen auf seinen Antrag hin freigesprochen. Es hat dabei dessen Einlassung zugrundegelegt, wonach er als Taxifahrer zwei betrunkene Fahrgäste befördert und deswegen auf der Autobahn die Geschwindigkeit überschritten, um die nächste Ausfahrt zu erreichen. Habe damit verhindern wollen, dass einer der Fahrgäste sich im Fahrzeug übergeben muss sein Fahrzeug mit erbrochenem verschmutze. Die gegen den Freispruch gerichtete Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft führte allerdings zu Urteilsaufhebung und Zurückverweisung an das Amtsgericht. Die Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstand es seien rechtsfehlerhaft bejaht worden. In dem Urteil fehle es bereits an einer nachvollziehbaren Darlegung, dass die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit überhaupt geeignet war, dass von dem Betroffenen verfolgte Ziel, nämlich die Verhinderung der Verschmutzung seines Fahrzeuges, zu erreichen. Nur ausgewählte Abwehrmittel, die geeignet sind, die Gefahr zu beseitigen, können einen rechtfertigenden Notstand begründen. Insbesondere dann, wenn durch die Geschwindigkeitsüberschreitung kein wesentlicher Zeitgewinn zu erwarten war, kann der Rechtfertigungsgrund nicht eingreifen. Dies gelte umso mehr, als es sich bei dem Übergeben / Brechen um einen nicht kontrollierbaren Vorgang handele. Da deshalb eine Verzögerung des übergeben nicht möglich ist, ist die Überschreitung der Geschwindigkeit nicht geeignet gewesen, den Parkplatz noch rechtzeitig zu erreichen. Ungeachtet dieser Erwägungen seien die Urteilsgründe auch lückenhaft, weiß ich Ihnen nicht entnehmen lässt, inwiefern andere Mittel zur Verfügung gestanden hätten, um die Gefahr der Verunreinigung des Taxis abzuwehren. So könne der Taxifahrer doch auch so genannte brech Tüten, wie diese Funktion üblich ist, mitführen. Die Interessenabwägung des Amtsgerichts weise daher grundlegende Rechtsfehler auf. Soweit das Amtsgericht meint, der Lärmschutz habe hinter die Sicherheit der Fahrgäste zurückzutreten, so sei diese Abwägung grundsätzlich zu beanstanden. Auch die „Sicherheit der Fahrgäste“ könne nicht in die Waagschale geworfen werden. Denn deren Sicherheit war durch das mögliche Erbrechen im Fahrzeuginneren überhaupt nicht berührt. So sieht es zumindest das OLG Bamberg. Es handele sich hierbei um ein Eigeninteresse des betroffenen Taxifahrers daran, dass das von ihm gesteuerte Fahrzeug nicht verunreinigt wird. Dies überwiegt schon von vornherein nicht nach dem eindeutigen Wortlaut des § 16 OWiGwesentlich die Interessen der Anwohner an der Einhaltung des Lärmschutzes. Letzteres war nämlich die Begründung für die Anordnung der Geschwindigkeitsbegrenzung. Ungeachtet dessen sei nach dem OLG Bamberg diesem Zusammenhang zusätzlich zu berücksichtigen, dass der Betroffene es war, der die erkennbar Betrunkenen in seinem Taxi überhaupt erst Aufnahme gewährte. Dr. Henning Hartmann Fachanwalt für Strafrecht Fachanwalt für Verkehrsrecht  

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