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Ist das Überqueren einer Fahrbahn möglicherweise strafbar?

Zwischen Fahrzeugen und unachtsamen Fußgängern kommt es immer wieder zu Unfällen im Straßenverkehr. Auch, wenn der Fußgänger abgelenkt auf die Straße tritt, kann der Fahrer, bei zu hoher Geschwindigkeit und damit einem zu kurzen Bremsweg, mithaften. Dies entschied das Oberlandesgericht Hamm am 6.4.2017 (Aktenzeichen: 6 U 2/16). Zudem hat der Verkehr ebenso die Pflicht bei einer Gefährdung eines Fußgängers auszuweichen und zu bremsen. Autofahrer müssen die Geschwindigkeit verringern und bremsbereit sein sobald ein Fußgänger auf die Fahrbahn läuft. Kommt es dennoch zu einem Unfall bei erhöhter Geschwindigkeit, haftet der Fahrer zu einem Drittel mit.

Das Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit wirkt sich auf das Urteil aus.

So fuhr eine Motorradfahrerin schneller als die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h und erreichte den Ort der Kollision 0,17 Sekunden früher als bei Einhaltung möglich gewesen wäre. Die Fußgängerin hätte sich bei korrektem Fahrverhalten der Motorradfahrerin bereits auf dem Bürgersteig (0,15 Sekunden bis zum Erreichen des Bürgersteigs) befunden. In diesem Fall hat die Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit den Unfall verursacht und es wirkt die Mithaftung, denn hätte die Motorradfahrerin das Tempo verringert, wäre es nicht zum Unfall gekommen.

Ähnlich sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf in einer aktuellen Entscheidung. Möchte ein Fußgänger eine Straße überqueren und achtet nicht auf den Verkehr auf der linken Seite, muss dieser eine Mitschuld tragen, auch wenn der Fahrer die volle Sicht auf die betroffene Person hatte. Der Verkehr hat auf Straßenabschnitten ohne Fußgängerüberwege prinzipiell Vorrang, da diese primär dem Fahrzeugverkehr dienen und nur mit großer Vorsicht überquert werden dürfen. Eine schmale Straße darf nur überquert werden, wenn der Fußgänger den Bürgersteig erreicht, bevor der Fahrzeugverkehr eingetroffen ist.

Fußgänger dürfen Fahrzeuge nicht behindern und müssen darauf achten nicht in die Fahrspur des Verkehrs zu gelangen.

In Düsseldorf entschied das Oberlandesgericht am 27. Juni 2017 (Aktenzeichen: 1 U 115/16), dass Fußgänger zu nur einem Drittel mithaften, wohingegen das Oberlandesgericht in Hamm die Mitschuld auf zwei Drittel festlegte (s.o.).

Folgen für den Schutz der Haftpflichtversicherung

Hier zahlt natürlich nicht der Verkehrsteilnehmer, sondern es tritt seine Kfz-Haftpflichtversicherung ein. Interessanterweise entscheidet allein der Versicherer über den außergerichtlichen Einsatz. Zudem kann der Versicherte nicht abwenden, dass die Eintrittsentscheidung fällt, da in der Regel beim Versicherungsabschluss eine Regulierungsvollmacht unterzeichnet wird. Daher ist der Versicherer in seiner Entscheidung der Regulierung, eingeschlossen der Prämienerhöhung für den Versicherten, frei.

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Mitschuld trotz Vorfahrt oder bei Auffahrunfall!

Wenn ein Verkehrsteilnehmer dem anderen die Vorfahrt nimmt, haftet er für dessen Schaden. Sollte man meinen. Stimmt aber nicht immer. Der BGH hat in mehreren Urteilen (z.B. am 20.9.11 zum A.Z. VI ZR 282/10) darauf erkannt, dass auch ein Vorfahrtsberechtigter anhalten oder ausweichen muss, wenn er erkennen kann, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer seine Vorfahrt verletzt. Dies folgt letztlich aus dem allgemeinen Rücksichtgebot des § 1 II StVO. Wenn der Vorfahrtsberechtigte sieht, dass ihm die Vorfahrt „genommen“ wird und er dennoch nicht mit einer Bremsung reagiert, weil er davon ausgeht, dass es nicht zu einer Kollision kommen wird, gilt dasselbe. Die Haftung des Vorfahrtsberechtigten kann – je nach Einzelfall – bei etwa 30% angesetzt werden. Mit anderen Worten: der Vorfahrtsverletzer bekommt 30% seiner Ansprüche, der Vorfahrtsberechtigte 70% ersetzt. Eine ganz ähnliche Konstellation gibt es immer wieder bei den Auffahrunfällen. Hier heißt es immer „wer auffährt, ist Schuld“. Auch das stimmt so nicht. Und zwar regelmäßig dann nicht, wenn der Vordermann kurz vor dem Auffahren einen Spurwechsel vorgenommen hat. Thema ist hier der sogenannte Anscheinsbeweis. Wenn dieser eingreift, bedeutet das, dass vermutet wird, dass der Auffahrende entweder einen zu geringen Sicherheitsabstand hatte, oder wegen Unaufmerksamkeit auffuhr. Bevor jedoch von einem solchen Anscheinsbeweis ausgegangen werden kann, muss ein Geschehensablauf festgestellt werden, bei dem typischerweise auf eine bestimmte Konsequenz (nämlich die volle Haftung) geschlossen werden kann. Dieser „typische Geschehensablauf“ muss aber erst einmal von demjenigen bewiesen werden, der sich darauf beruft. Wenn nun aber das vorausfahrende Fahrzeug unmittelbar vor dem Auffahren die Fahrspur wechselt, FEHLT es an einer solchen typischen Unfallkonstellation. In dieser Situation fällt der Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden weg. Soweit das vorausfahrende Fahrzeug die Fahrspur gewechselt hat und sich in einigermaßen engem räumlichen und – vor allem – zeitlichen Zusammenhang mit diesem Spurwechsel der Unfall ereignet, liegt ein Verstoß gegen § 7 V StVO vor! Also nichts mehr mit Alleinschuld des Auffahrenden. Denn § 7 V StVO fordert die größtmögliche Sorgfaltspflicht beim Spurwechsel. Kommt es zu einem Unfall, steht fest, dass nicht nur eine Gefährdung, sondern sogar eine Schädigung eines anderen Verkehrsteilnehmers eingetreten ist. Dies kann im Extremfall sogar zu einem Anscheinsbeweis GEGEN den Spurwechsler (also zugunsten des Auffahrenden!) führen! Wie lange muss der Spurwechsel nun in der Vergangenheit liegen, damit ein solcher Zusammenhang nicht mehr gegeben ist? Die Gerichte gehen hier von ca. fünf Sekunden, und dies ist eine lange Zeit, aus (vgl. u.a. KG, Beschluss vom 6.5.10 zum A.Z. 12 U 144/09, NZV 2011, S. 185). Lässt sich – wie so häufig – im Ergebnis nicht mehr ermitteln, wie sich der Unfall genau zugetragen hat und wie lange der Spurwechsel her ist, wird regelmäßig eine hälftige Schadensteilung (50:50) vorgenommen. Häufig zahlen in diese Fällen die Versicherer zunächst gar nicht. Erst wenn der Anwalt beauftragt wird und die Ansprüche geltend macht, kommt Bewegung in die Sache. Verzichten Sie nicht auf Ihre Ansprüche, nur weil der Versicherer „mauert“! Eine Verkehrsrechtsschutzversicherung trägt die Kosten des Anwalts.

Dr. Henning Hartmann, Oranienburg
Fachanwalt für Strafrecht
Fachanwalt für Verkehrsrecht
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